Kontextualisierte
Traumaarbeit

Eine Forschungskooperative von forschenden Berater*innen aus 21 Fachberatungsstellen des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) und Expert*innen aus Erfahrung

Ariane Brenssell Kontextualisierte Traumaarbeit - Anführungszeichen

Besorgniserregend finden wir die Tendenz, gewaltbetroffene Frauen allzu sehr ins klinische Setting zu „verlagern“. So sind die Fachdebatten im Bereich „Traumatheorie und -therapie“ zunehmend medizinisch/klinisch orientiert und entfernen sich immer mehr von einem gesellschaftskritischen Traumaverstehen.

(Forschungskooperative 2016) 

Wir brauchen ein Gender- und Machtbewusstes Verständnis von Gewalt und Trauma.
Im partizipativen Forschungsprojekt wurde dafür gemeinsam in einem Forschungsplenum der Begriff „Kontextualisierte Traumaarbeit“ geprägt. 

Zum partizipativen Forschungsprojekt I

„Mitarbeiterinnen in Frauenberatungsstellen und Frauennotrufen beschäftigen sich seit vielen Jahrzehnten mit Traumatisierungen durch Gewalt. Dennoch findet unsere Perspektive in den aktuellen gesellschaftlichen und medizinischen Debatten wenig Gehör. Stattdessen werden Traumata zunehmend als neurobiologische Symptome dargestellt, die medizinisch „behandelt“ werden müssen. Gewalt und Ausgrenzung, die eine Traumatisierung verursacht haben, werden ausgeblendet, Traumatisierungen werden als individuelles Problem verstanden. Diese Auffassung teilen wir nicht. Unserer Erfahrung nach ist der Blick auf die Ursachen und auf die Verursachenden für die Bearbeitung traumatisierender Erfahrungen unumgänglich. Wir betrachten geschlechtsspezifische Gewalt als ein gesellschaftliches Problem, das zugleich individuell und im gesellschaftlichen Raum bearbeitet werden muss. Um diese Perspektive sichtbar zu machen, haben wir sie im Rahmen einer partizipativen Forschung wissenschaftlich erkundet und dokumentiert. Wir – das sind Mitarbeiterinnen aus Frauenberatungsstellen und Frauennotrufen sowie Frauen, die diese Beratung in Anspruch genommen haben. Außerdem Mitarbeiter*innen aus unserem Dachverband bff (Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe) und Wissenschaftlerinnen, die die Forschung gemeinsam initiiert und geleitet haben.“ 

Aus Kontextualisierte Traumaarbeit 2020, S. 8

… der immer mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen zusammenhängt.
Dieser erfordert Zusammenhangswissen und Gender-Expertise. 

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Traumatisierung im Kontext der Gesellschaft

[ S. 26 f ] „…Menschen, die „Traumatisches“ erlebt haben, werden gesellschaftlich zunehmend im Licht einer Diagnose betrachtet, sie haben zum Beispiel eine posttraumatische Belastungsstörung und brauchen jetzt eine „Behandlung“. Der Fokus liegt auf dem Individuum, unabhängig von den Ursachen dieser Diagnose. Wir verstehen geschlechtsspezifische Gewalt hingegen auch als Symptom einer Gesellschaft, in der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern als legitim gilt. Traumaarbeit ist für uns zum einen die konkrete Hilfe für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen. Zum anderen aber auch die Arbeit an den Ursachen. Wir betrachten Traumata, die durch geschlechtsspezifische Hintergründe Gewalt verursacht wurden, stets im Kontext, also im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Denn diese Traumafolgen sind keine „Krankheit“, kein „Einzelschicksal“ und keine „Störung“, sondern Folge von Gewalt. Damit stellen wir uns gegen eine Individualisierung von Traumafolgen, die das Problem ins Individuum verlagert und die Ursachen außen vor lässt. …“

Ariane Brenssell Kontextualisierte Traumaarbeit - Seite 26

Zum partizipativen
Forschungsprojekt II

Partizipatives Forschungsprojekt mit dem bff  (2015 – 2019).

Akteur*innen der partizipativen Forschung waren 11 Expert*innen aus Erfahrung, 2 Photovoice-Forschungsgruppen, eine Forschungskooperative aus 21 Berater*innen, Mitarbeiter*innen des bff, Team der Fakultät Soziale Arbeit der Ostfalia-Hochschule Braunschweig-Wf.

Ariane Brenssell Kontextualisierte Traumaarbeit - Schaubild KonTra Zusammenhangswissen - Karte
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Die Forschung zeigte, dass sich die kontextualisierte Traumaarbeit der Fachberatungsstellen als ein Dreiklang aus Beratung, Zusammenhangswissen und Strukturarbeit fassen lässt. Diese drei Dimensionen greifen ineinander. 

Das Wissen über die Zusammenhänge zwischen [struktureller] Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* und ihren Folgen ist eine Besonderheit kontextualisierter Traumaarbeit. Eine Symptombetrachtung reicht nicht aus.  Veränderungen an den gesellschaftlichen Strukturen sind eine zentrale Dimension kontextualisierter Traumaarbeit. 

Wir haben das Zusammenhangswissen grafisch visualisiert

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Community basierte Forschung orientiert sich an dem Anliegen einer Community. Das Anliegen der Community des bff an dem Forschungsprojekt war es, die Praxis-Expertise, die in jahrzehntelanger Arbeit gegen Gewalt an Frauen und Mädchen entwickelt wurde, zu reflektieren, aufzuschreiben und für andere vermittelbar zu machen

Ariane Brenssell Kontextualisierte Traumaarbeit - Anführungszeichen

Expert*innen aus Erfahrung 

Menschen zu ‚Mit/Forscher*innen‘ zu machen, hat große Bedeutung,
weil nur sie über die Erfahrungen verfügen, die es zu verallgemeinern und für andere zugänglich zu machen gilt, und weil es somit nur mit ihrer Hilfe möglich sein wird, Einseitigkeiten und Verkürzungen in der theoretischen Erfassung von Problemen zu korrigieren.

[Vgl. nach Osterkamp 1997: Rassismus als Selbstentmächtigung, S. 34, Argument Verlag Zitat modifiziert/ AB]

Partizipative Forschung:
Zu den Photovoice-Projekten

„Anfangs war ich unsicher, ob ich die Rolle der Lehrenden ausfüllen würde, die individuellen Ästhetiken aufspüren und stärken könnte. Und ich wurde überrascht. Von Wissbegier und blitzschneller Umsetzung. Von wunderbaren Blickwinkeln und Freude am Experimentieren. Über sechs Wochen hinweg bildeten sich ganz unterschiedliche Zugänge heraus, so individuell wie die Geschichten und Ihre Erzählerinnen. Die anschließende Ausstellung und auch dieses Buch zeigen nun eine kleine Auswahl der Ergebnisse. Vielleicht ermutigen sie, selber durch die Linse zu blicken, die eigene Wirklichkeit zu finden, einzufangen und abzubilden, die eigenen Geschichten somit neu zu bebildern.“ (autorisiert) 

Katharina Reimann zum Photovoice Projekt des frauennrotrufs Idar_Oberstein  
… ist Künstlerin, Fotografin und war Leiterin des Photovoice Projekt des Frauennotrufs in Idar-Oberstein

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Auszug aus einem Interview mit Katharina Reimann: 

„Das Photovoice Projekt fand auf einer andere Ebene statt, es ging darum nicht über jemanden zu schreiben, sondern etwas mit jemandem zu machen. Das war sehr wichtig. Denn es hat einen kolonialen Beigeschmack über Dinge zu forschen und zu reden, die für die ForscherInnen ganz weit weg sind von ihrer Lebensrealität, ganz entfernt von der Lebenswelt. Eine große Rolle spielte die Wertschätzung für die Einzelnen. Die Resultate sind positiv: der Prozess hat zur Heilung beigetragen. In wissenschaftlichen Befragungen bleiben sonst die Opfer Opfer.  Was geholfen hat, ist die Ermächtigung und die Schritte aus dem „Opfersein“ raus, das ist ja eigentlich das Ziel: starke Menschen!“

Diese Seite ist im Aufbau und ganz bewusst im Prozess.

Wenn Sie uns Ihr Anliegen zu diesem Pionierpropjekt einer partizipativen Forschung zur Bedeutung einer gendrsensiblen und machtkritischen … gesellschaftlich vermittelten Traumaarbeit im Kontext von Gewalt (gegen Frauen*) teilen wollen, schreiben sie uns an!